Aus der Reihe: Comic-Klassiker & Klasse-Comics
André Taymans: Caroline Baldwin – Die Gesamtausgabe 1
Schreiber & Leser, gebunden
Die amerikanische Elektronikfirma Kristal Corporation ist in heller Aufregung. Frank White, ein ehemaliger NASA-Astronaut und Teilnehmer einer Mondlandung, ist ohne Nachricht oder Spur verschwunden. Als Repräsentant der Firma ist er dringend notwendig, gerade jetzt, da ein millionenschwerer Vertrag mit einem japanischen Partnerunternehmen unterzeichnet werden soll. White ist nirgends aufzufinden. Die Firma beauftragt die Detektei Wilson mit der Aufgabe, und diese setzt Caroline Baldwin auf den Fall an. Aber ist es ein Fall? Hat ein fieser Konkurrent von Kristal den Astronauten entführt? Oder hat sein Verschwinden ganz andere Hintergründe, an die noch niemand denkt? Caroline Baldwins Ermittlungen führen sie nach Venedig. Aber die Wahrheit weiß vielleicht nur der Mond…
Ihr frecher Kurzhaarschnitt, die mädchenhaften blauen Augen – zwischen tough und verletzlich – und die sternengleichen Sommersprossen sind ihr Markenzeichen: Caroline Baldwin, die junge New Yorker Privatdetektivin indianischer Abstammung, ist Kind und Frau zugleich, unerschrocken, selbstbewusst, zupackend einerseits und sensibel, verloren und immer ein bisschen überwältigt von der großen Welt und den Abgründen, die darin lauern, andererseits.
»Astronaut am Abgrund« heißt der erste Fall Caroline Baldwins. André Taymans vielschichtige Geschichte voller Thrill, Romantik, Poesie und Melancholie ist brillant und die beste Episode einer ohnehin herausragenden Reihe. Graphisch ist sie eine Klasse für sich, beeinflusst von Altmeister Hugo Pratt (»Corto Maltese«) und der »ligne claire« der Hergé-Schule, dabei aber stilistisch eigenständig, der Erzählweise des Films verwandt und von starker, plastischer Farbgebung.
Der dieser Tage erschienene erste Band der Gesamtausgabe versammelt die ersten vier Caroline-Baldwin-Alben, und neben »Astronaut am Abgrund« ist darin vor allem „Kontrakt 48-A“ sehr zu empfehlen. Carolines Freund seit Kindertagen Mike, Waise und aufgrund einer angeborenen Behinderung im Rollstuhl sitzend (Carolines indianische Familie nannte ihn „Zwei Räder“), bittet sie, seiner Herkunft nachzuforschen. Über seine Eltern weiß er nichts, nur dass jemand anonym für ihn und seine Ausbildung monatlich einen Betrag ans Waisenhaus zahlte. Nichts als ein kleiner, schnell erledigter Freundschaftsdienst, denkt Caroline, doch kaum beginnt sie ihre Nachforschungen, sterben ihre anvisierten Gesprächspartner und Caroline begreift, dass sie selbst ins Visier mächtiger, unbekannter Gegenspieler geraten ist. Und das alles nur, weil Mike wissen will, wer seine Eltern waren?
Die Comicreihe »Caroline Baldwin« überzeugt mit ihrer exzellenten, modernen visuellen Gestaltung ebenso wie mit ihrem ausgeprägten Sinn für Atmosphären, psychologische Zwischentöne und die tieferen Dimensionen des Lebens. Klarer Fall: beeindruckend.
P.S.: Der zweite Band der Gesamtausgabe ist bereits für Juni angekündigt.
MICHAEL KLEIN