Aus der Reihe: Bücher, die sich wirklich lohnen
D. H. Lawrence: Söhne und Liebhaber – Das Hörspiel
Der Hörverlag, 3 CDs
England gegen Ende des 19. Jahrhunderts. In der Bergbauregion um Nottingham lebt die Familie Morel: Walter, der Vater, ein ausgelaugter Bergarbeiter und Säufer, Gertrude, die bürgerlich erzogene und nach Höherem strebende Mutter. Alle Hoffnungen auf ein besseres und bedeutenderes Leben muss sie freilich in ihre Söhne William und Paul legen, deren Lebenswege sie mit sanfter Bestimmtheit mit zu bahnen sucht.
William scheint, als er erwachsen wird, tatsächlich zu gesellschaftlichem Erfolg und Ansehen zu gelangen. Doch als ihn ein Schicksalsschlag trifft, überträgt die Mutter alle Ambitionen auf den jüngeren, sensiblen Sohn Paul, der sich anschickt, ein begabter Kunstmaler und Designer zu werden.
Paul ist innerlich hin- und her gerissen zwischen widerstreitenden, ambivalenten Gefühlen zu drei Frauen. Seine engste Vertraute ist die junge, reine Miriam aus dem Nachbarort, mit der er über Kunst und Leben diskutieren kann und die seine künstlerische Arbeit inspiriert. An den Gesprächen mit der älteren Städterin Clara findet Paul, der bald die Zwanzig überschreitet, zwar nicht den gleichen Gefallen, doch strömt sie auf ihn eine betörende erotische Verlockung aus, die sie ihm immer wieder ungemein attraktiv and anziehend macht. Und doch bleibt da stets die enge Bindung zur Mutter, der er sich entziehen möchte und immer wieder doch nicht wirklich entziehen kann.
So sehr Paul versucht, zu innerer Klarheit und fester Orientierung zu gelangen, er pendelt in abrupten Stimmungswechseln und mit einer wachsenden, halb untergründigen Frustration in seinen Gefühlen zwischen diesen drei Frauen, ohne einen festen Platz im Leben finden zu können.
Die genannten Personen und Verhältnisse hat es sehr ähnlich tatsächlich gegeben, denn der 1913 erschienene Roman »Söhne und Liebhaber« von D. H. Lawrence (1885-1930, »Lady Chatterley«, »Liebende Frauen«) fußt auf autobiographischen Erfahrungen.
Ungemein zu empfehlen ist die Hörspieladaption von Helmut Peschina (Skript) und Ulrich Lampen (Regie), sie ragt aus dem heutigen Hörspieleinerlei erfreulich weit heraus. Die geschilderte Welt und ihre Figuren werden dem Hörer plastisch vor Augen gestellt, die Sprecherleistungen u. a. von Patrick Güldenberg als Paul und Anne Müller als Miriam sind glänzend. Zur konzentrierten, stimmigen, intensiven Atmosphäre tragen besonders auch Michael Rotschopf als Erzähler bei – der einen Tonfall findet, der den Hörer vier Stunden lang wahrlich zu packen vermag – sowie Jakob Diehl, dessen düster-elegische Streichquartett-Kompositionen den Ernst und die vorahnungsvolle Unausweichlichkeit des Stoffs brillant zur Geltung bringen. Hier stimmt wirklich alles.
Michael Klein