Das Comic-Magazin ZACK im Freudentaumel

Nun wird das „neue“ ZACK auch schon altehrwürdig! Es feiert Jubiläum, 25 Jahre wird es jetzt alt, in denen 300 monatliche Ausgaben erschienen sind – inzwischen mehr, als das „alte“ ZACK in seinen acht Jahren Lebensdauer erreichte.

Titel des neuen ZACK-Magazins der Nummern 1 und 300Für Nachgeborene: ZACK, das ist das legendär gewordene Comic-Magazin, dessen erste Ausgabe im April 1972 erschien und das einen echten Schub in der Comic-Akzeptanz in diesem Land bedeutete. Frankobelgische Klassiker wie „Andy Morgan“, „Michel Vaillant“, „Rick Master“, „Mick Tangy“, „Comanche“, „Luc Orient“ oder „Umpah-Pah“ erschienen darin zum ersten Mal auf Deutsch oder wurden auf bedeutend breiterer Basis erfolgreich als in ihren früheren deutschen Auftritten.

ZACKs Vorbild bildete die belgische Comic-Zeitschrift „Tintin“, und aus dessen Inhalten wurde reichlich nach Deutschland importiert; ein zweiter Zustrom erfolgte aus dem französischen Magazin „Pilote“ mit den Erfolgsserien „Lucky Luke“, „Blueberry“, „Mick Tangy“ und „Valerian“.

Eine ganze Generation wurde durch ZACK geprägt. Für den Erfolg frankobelgischer Serien in Deutschland wurde das Heft ebenso ein Meilenstein wie für die Belebung der Comic-Szene in unserem Land. Zeichner wie Hermann, Jean Giraud oder Eddy Paape wurden zum Begriff, Szenaristen wie René Goscinny und Greg hoben die Wertschätzung von Comic-Autoren auf eine ganz neue Stufe.

Dennoch währte der Erfolg nicht nachhaltig, das Magazin erlebte Krisenjahre und der ganz große Wurf, den es Ende der 70er Jahre anstrebte, nämlich zum führenden, international erscheinenden europäischen Comic-Magazin zu werden, wurde im Gegenteil zum Stolperstein, der das Heft in die Auflösung zwang. Zum Zeitpunkt der Einstellung hatte es qualitativ allerdings auch bereits empfindlich eingebüßt.

Die begeisterten ZACK-Leser trauerten nicht dem Abgesang, sondern den großen Jahren nach, in denen Blueberry und Luc Orient den amerikanischen Westen durchritten oder die Weiten des Alls durchreisten, Andy Morgan und Comanche in von Hermann packend gezeichneten Szenerien spannende Abenteuer erlebten, Umpah-Pah, Lucky Luke und Kasimir uns Tränen lachen ließen oder Michel Vaillant uns so zu Rennfahrern machte wie Bruno Brazil zu Geheimdienst-Haudegen. Was damals in ZACK erschien, gilt heute ganz überwiegend als Comic-Klassiker, und was wir in jungen Jahren in den Heften lasen, erlebt inzwischen Auflage um Auflage in schön eingebundenen Werkausgaben.

Die Titel des "alten" ZACK-Magazins Nr. 17/1972 und 32/19801999 realisierte sich ein echter Traum alter Leser, ein Team um Chefredakteur Martin Jurgeit und den Comic-Verleger Klaus D. Schleiter startete einen Neuanfang. Dass sie es ernst meinten, ZACK wieder aufleben zu lassen, zeigte sich schon in den 12 Ausgaben des ersten Jahrgangs, denn die vereinten Kräfte schafften es, alte Helden wie „Michel Vaillant“, „Cubitus“, „Dan Cooper“ und „Blueberry“ erneut ins Heft zu holen, weitere folgten.

Das ist inzwischen 25 Jahre her und das „neue“ ZACK erfreut sich exzellenter Frische bis heute. „Michel Vaillant“, „Mick Tangy“, „Rick Master“ und „Bob Morane“ gehören auch heute noch mit ihren aktuellen Abenteuern zu den Stammhelden des Hefts, andere Serien wie Jean van Hammes „Rani“, „Harmony“ oder „Amoras“ sind hinzugekommen und stehen ihnen qualitativ nicht nach.

Zum 25jährigen Jubiläum ist eine Sonderausgabe erschienen, die in besonders gedrängter Form ein Stelldichein der alten Helden in neuen Episoden feiert. Hermann gibt in „Mad Dog“ seiner „Comanche“-Saga eine atmosphärisch dichte, neue Voraus-Episode. Xavier lädt uns Leser mit Andy Morgan noch einmal in die „Festung im Nebel“ ein und macht seine Sache so gut, dass sofort der Wunsch nach einer Fortsetzung der Serie entsteht. Turk (im alten ZACK mit einigen „Colonel Clifton“-Geschichten vertreten) zeichnet in seinem karikaturhaften Stil eine „Luc Orient“-Parodie. In glänzender humoristischer Form erweisen sich Dany mit einer Hommage an Rick Master und Michel Rodrigue und Erroc, die mit Cubitus die goldenen Jahre von „Tintin“ feiern. Natürlich dürfen auch Kurzgeschichten um Michel Vaillant und Dan Cooper nicht fehlen.

Möglich wurde diese Jubiläumsnummer durch die große Sonderausgabe „77 Jahre Tintin“, die im letzten Jahr in Frankreich und Belgien erschienen ist. Teils die alten Zeichner, teils jüngere Könner des Comic-Fachs – als Hommage an die Comics, mit denen sie groß geworden sind – schrieben und zeichneten für sie Storys, die gerne auch eine Weiterführung finden dürfen. Schließlich liegen Serien wie Andy Morgan, Comanche, Luc Orient oder Cubitus seit gar zu vielen Jahren völlig brach.

Die Jubiläumsausgabe (Nr. 300, Juni 2024) ist frisch im Handel, 100 Seiten kosten 9,70 Euro. Solange der Vorrat reicht. Und wer als Wieder- oder Neu-Leser von ZACK Feuer fängt, darf sich gleich auf die nachfolgende Ausgabe freuen, die nicht nur die Fortsetzung des aktuell laufenden „Mick Tangy“-Abenteuers enthält, sondern feine neue Serien und Entdeckungen wie „Harmony“, „Mata Hari“, „Aleksis Strogonov“ oder – besondere Empfehlung – „Bootblack“ vom herausragenden Zeichner Mikael.

Michael Klein

 

Zur Website von ZACK geht es hier.

 

Caroline Baldwin – Die Gesamtausgabe 1

Aus der Reihe: Comic-Klassiker & Klasse-Comics

André Taymans: Caroline Baldwin – Die Gesamtausgabe 1

Schreiber & Leser, gebunden

Andre Taymans, Caroline Baldwin, Gesamtausgabe 1, Schreiber & Leser

Caroline Baldwin, Gesamtausgabe 1

Die amerikanische Elektronikfirma Kristal Corporation ist in heller Aufregung. Frank White, ein ehemaliger NASA-Astronaut und Teilnehmer einer Mondlandung, ist ohne Nachricht oder Spur verschwunden. Als Repräsentant der Firma ist er dringend notwendig, gerade jetzt, da ein millionenschwerer Vertrag mit einem japanischen Partnerunternehmen unterzeichnet werden soll. White ist nirgends aufzufinden. Die Firma beauftragt die Detektei Wilson mit der Aufgabe, und diese setzt Caroline Baldwin auf den Fall an. Aber ist es ein Fall? Hat ein fieser Konkurrent von Kristal den Astronauten entführt? Oder hat sein Verschwinden ganz andere Hintergründe, an die noch niemand denkt? Caroline Baldwins Ermittlungen führen sie nach Venedig. Aber die Wahrheit weiß vielleicht nur der Mond…

Ihr frecher Kurzhaarschnitt, die mädchenhaften blauen Augen – zwischen tough und verletzlich – und die sternengleichen Sommersprossen sind ihr Markenzeichen: Caroline Baldwin, die junge New Yorker Privatdetektivin indianischer Abstammung, ist Kind und Frau zugleich, unerschrocken, selbstbewusst, zupackend einerseits und sensibel, verloren und immer ein bisschen überwältigt von der großen Welt und den Abgründen, die darin lauern, andererseits.

Caroline Baldwin, Astronaut am Abgrund, Cover

Caroline Baldwins erstes Abenteuer

»Astronaut am Abgrund« heißt der erste Fall Caroline Baldwins. André Taymans vielschichtige Geschichte voller Thrill, Romantik, Poesie und Melancholie ist brillant und die beste Episode einer ohnehin herausragenden Reihe. Graphisch ist sie eine Klasse für sich, beeinflusst von Altmeister Hugo Pratt (»Corto Maltese«) und der »ligne claire« der Hergé-Schule, dabei aber stilistisch eigenständig, der Erzählweise des Films verwandt und von starker, plastischer Farbgebung.

Der dieser Tage erschienene erste Band der Gesamtausgabe versammelt die ersten vier Caroline-Baldwin-Alben, und neben »Astronaut am Abgrund« ist darin vor allem „Kontrakt 48-A“ sehr zu empfehlen. Carolines Freund seit Kindertagen Mike, Waise und aufgrund einer angeborenen Behinderung im Rollstuhl sitzend (Carolines indianische Familie nannte ihn „Zwei Räder“), bittet sie, seiner Herkunft nachzuforschen. Über seine Eltern weiß er nichts, nur dass jemand anonym für ihn und seine Ausbildung monatlich einen Betrag ans Waisenhaus zahlte. Nichts als ein kleiner, schnell erledigter Freundschaftsdienst, denkt Caroline, doch kaum beginnt sie ihre Nachforschungen, sterben ihre anvisierten Gesprächspartner und Caroline begreift, dass sie selbst ins Visier mächtiger, unbekannter Gegenspieler geraten ist. Und das alles nur, weil Mike wissen will, wer seine Eltern waren?

Die Comicreihe »Caroline Baldwin« überzeugt mit ihrer exzellenten, modernen visuellen Gestaltung ebenso wie mit ihrem ausgeprägten Sinn für Atmosphären, psychologische Zwischentöne und die tieferen Dimensionen des Lebens. Klarer Fall: beeindruckend.

P.S.: Der zweite Band der Gesamtausgabe ist bereits für Juni angekündigt.

MICHAEL KLEIN

Jiro Taniguchi – Die Stadt und das Mädchen

Aus der Reihe: Comic-Klassiker & Klasse-Comics

Jiro Taniguchi: Die Stadt und das Mädchen

Shodoku, Paperback

Der Bergsteiger Takeshi Shiga bewirtschaftet eine Berghütte am Kai-Komagataki, als ihn ein Hilferuf aus Tokio erreicht. Yoriko Sakamoto, die Frau seines besten Freundes, der vor zwölf Jahren beim Bergsteigen in Nepal gestorben ist, ist in starker Sorge um ihre Tochter Megumi, die seit Tagen nicht nachhause gekommen ist. Shiga erinnert sich: »Ich vertraue dir Yoriko und Megumi an«, waren die letzten Worte, die sein Freund auf einen Zettel gekritzelt hatte, bevor er in Nepal erfror.

Jiro Taniguchi, Die Stadt und das Mädchen, CoverShiga bricht sofort nach Tokio auf und beginnt seine Nachforschungen. Während für die Polizei der Fall des verschwundenen Mädchens von keinem sonderlichen Interesse zu sein scheint, gewinnt Shiga das Vertrauen eines jungen Straßenstreuners und des zunächst abgebrüht-abweisenden Mädchens Maki Ohara, das Megumi zuletzt gesehen hat.

Die Beobachtungen der beiden geben Shiga die ersten wichtigen Hinweise, was es mit Megumis Verschwinden auf sich haben könnte. Und dann geht es in gefährliche Höhe – in gesellschaftlicher wie in physikalischer Hinsicht. Gut, dass Shiga ein Bergsteiger ist, der auch das scheinbar Unmögliche nicht scheut.

Der Manga-Autor und -Zeichner Jiro Taniguchi – ein Meister seines Fachs, dessen im Original 1997 erschienenes Werk »Vertraute Fremde« auch bei uns zurecht und vielgerühmt als moderner Klassiker des Manga angesehen wird – verbindet in »Die Stadt und das Mädchen« seine bezwingende, hochspannende Handlungsführung in bester Hollywood-Dramaturgie mit einem atmosphärisch dichten Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren und einem kritischen Porträt der wimmelnden Metropole Tokio, in der Anonymität, die Entfernung von den wirklichen Lebenswerten und ein Zerfall des inneren gesellschaftlichen Zusammenhalts herrschen.

»Die Stadt und das Mädchen« ist ein exzellenter Manga-Thriller mit Anspruch, den man bis zur letzten Seite nicht aus den Händen legen kann.

MICHAEL KLEIN

Emmanuel Guibert – Alans Kindheit

Aus der Reihe: Comic-Klassiker & Klasse-Comics

Emmanuel Guibert: Alans Kindheit

Edition Moderne, gebunden

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie es zur Entstehung eines Buches kommt, aber eher ungewöhnlich ist, wenn der Beginn in einer simplen Frage nach dem Weg besteht. Der französische Comic-Zeichner Emmanuel Guibert (»Der Fotograf«, »Ariol«) hatte sich auf der Ile de Ré an der französischen Atlantikküste verlaufen und fragte einen Einheimischen, wie er zurück finde. Daraus ergab sich ein Gespräch, aus dem Gespräch ergab sich ein weiteres Treffen, aus dem weiteren Treffen ergaben sich immer neue und schließlich die Idee zu einem gemeinsamen Projekt.

Emmanuel Guibert, Alans Kindheit, CoverDer Einheimische war im Grunde nur ein halber Einheimischer, denn er war Amerikaner, mit Namen Alan Cope, damals 69 Jahre alt. Guibert mochte von Beginn an Copes lebendige Erzählweise, und die nahe liegenden Erkundigungsfragen – warum verbringt ein Amerikaner seinen Lebensabend an der französischen Atlantikküste? – führten Cope rasch zu Erinnerungen aus seiner Lebensgeschichte. Guibert war fasziniert, von Copes einfacher, aber präziser Art ebenso wie von der Fülle der Erinnerungen, die sich lebensnah und spannend vor seinen Augen entfalteten. Guibert war schließlich derart gepackt, dass er Copes Talent und sein eigenes zusammenführen wollte: in einer Graphic Novel, die Copes Erzählton beibehalten und durch seine, Guiberts, Zeichnungen ergänzen sollte.

Um es gleich zu sagen: Es war eine hervorragende Idee, die Kombination furios gelungen. Text und Bilder gehen eine Einheit ein, die künstlerisch voller Bescheidenheit ist – d.h. ohne jedes Blendwerk, ohne Getue, ohne falsche Gefühle oder behauptete Dramen – und in ihrer Wahrheit und unprätentiösen Schönheit berührend und überzeugend. Insgesamt drei Graphic-Novel-Bände sind auf diese Weise entstanden, »Alans Kindheit« ist nach »Alans Krieg« der zweite von ihnen.

Cope, 1925 geboren, wuchs in den 30er Jahren in Kalifornien auf, und er erzählt von den Dingen, die seine Kindheit ausmachten, von den Kleinstädten mit ihren Holzhäuserreihen, von den Ausflügen nach Long Beach an endlosen Landschaften aus Ölbohrtürmen vorbei, von den Pfefferbäumen mit ihren langen Ästen, die Trauerweiden-artig bis zum Boden hängen und die man ohne Schwierigkeiten zu Schaukeln verknoten kann. Er erzählt von Familientreffen, bei denen es Leckereien gibt und bei denen man als Kind mysteriöse, unvollständige Einblicke in die Lebensgeschichten der anderen mit ihren freudigen oder dunklen Seiten bekommt, von Freuden und Tragödien des Alltags, von Spielen und dem Hauch erster Romanzen.

Meistenteils berichtet Alan Cope nichts Spektakuläres, sondern Alltagsgeschichten – und man folgt ihm gebannt. Die Erzählweise ist einerseits schlicht, andererseits voller überraschender, atmosphärisch dichter Einzelheiten. Und nah am Leben. Guibert hat fabelhaft recherchiert, er muss endlos historische Fotos aus dem Kalifornien der Zeit studiert haben, um Copes Erzählungen derart brillant und detailreich in begnadet ausdrucksstarke, realistische SW-Zeichnungen umsetzen zu können. Da überzeugt jeder Strich.

(Kleiner Vorausblick: In Kürze gibt es an dieser Stelle noch einen Guibert-Alan-Nachtrag.)

MICHAEL KLEIN