„Lesen und Genesen“ u. a. mit James M. Barrie

Ursula Baumhauer (Hrsg.): Lesen und Genesen

Diogenes Verlag, Taschenbuch

Lesen und Genesen, hrsg. von Ursula Baumhauer, mit "Der kranke Logiergast" von James M. BarrieEs wäre ganz gewiss schön, wenn Literatur Wunder vollbringen könnte. Angesichts des Buchtitels „Lesen und Genesen“ stellt sich mir spontan das Bild eines Arztes vor Augen, der einem Kranken folgendes Rezept ausstellt: „Zwanzig Seiten eines Klassikers täglich, am Wochenende zusätzlich eine kräftige Dosis moderne Literatur, bitte nicht vergessen immer wieder einige Tropfen Lyrik, unverdünnt und ausführlich wirken lassen – das bringt Sie unfehlbar wieder auf die Beine.“ Erich Kästner hat eine Gedichtauswahl anno 1936 bekanntlich „Lyrische Hausapotheke“ genannt.

Lesen und Genesen“ heißt eine von Ursula Baumhauer (der Name strotzt vor Gesundheit) herausgegebene und zusammengestellte Textauswahl, in der es um Krankheit und Gesundung geht. Eine der prächtigen Erzählungen dieses Bandes ist „Ein kranker Logiergast“ von James M. Barrie, und das wird an dieser Stelle zuerst und besonders auffällig erwähnt, weil sich ihr Übersetzer darüber besonders freut. Sie ist der im Morio Verlag erschienenen deutschen Barrie-Erstausgabe „Wie meine Mutter ihr sanftes Gesicht bekam“ (2017) entnommen, und wem „Der kranke Logiergast“ heiteres, heilendes Vergnügen bereitet, findet in diesem Buch noch etliches Verlockende mehr in gleicher Qualität. Neugier darauf sei also guten Gewissens empfohlen.

Barrie würde sich übrigens wohl fühlen unter seinen Schriftstellerkollegen, die in der Summe eine große Bandbreite der Motive und Stile auffahren. William Somerset Maugham tischt zu Beginn eine kurze Diätkomödie auf, die in hemmungslos fulminanter Völlerei endet. Lebenswahr kurios der Zwischenstopp „Drei Stunden zwischen zwei Flügen“ von F. Scott Fitzgerald. Gekonnt schreibt George Watsky in „Welches Jahr haben wir?“ über das Erleben epileptischer Anfälle. Und der Wirbelsäulen-geplagte Cees Nooteboom schlägt aus dem Leiden trotzig komische Funken in der Ménage-à-trois „Doktor K., le docteur D. und ein hundertjähriger Rücken“. Weitere Sorgen und Freuden sind auf den insgesamt 270 Seiten des Buchs u. a. bei Benedict Wells, Banana Yoshimoto oder Bernhard Schlink zu entdecken. Die eindrucksvolle Titelillustration stammt von André Brasilier und gesellt sich zum zeitlos eleganten Aussehen der Diogenes-Bücher samt ihrer angenehmen Haptik.

MICHAEL KLEIN

Klassische Literatur im schönen Gewand, handverlesen von Michael Klein – zur Broschüre mit allen Titeln der Reihe im Morio-Verlag geht es hier.