Reiner Kunze – ein Geburtstagsporträt (2)

Einer meiner literarischen Helden, der Dichter Reiner Kunze, wurde dieser Tage 85 Jahre alt. Ein guter Grund für ein Geburtstagsporträt.

Hier ist der zweite Teil.

 

Im vorstehenden ersten Teil dieses Geburtstagsporträts ging es um Reiner Kunzes Grundthemen, um seine Kindheit und Jugend unter der Trikolore »kohle, gras und himmel«, um seine zunehmenden Konflikte in der DDR mit dem dogmatischen Charakter des Kommunismus und dem Repressiven eines jedes eigene Denken entmündigenden und alles Private misstrauisch beargwöhnenden Staats, schließlich um das Prosabuch »Die wunderbaren Jahre«, das im Westen zum Bestseller wird. Die Staatsmacht der DDR sinnt auf volle Härte, doch die Angst vor der internationalen Aufmerksamkeit und vor der geahnten Peinlichkeit des Eingeständnisses lässt die Konsequenz mäßiger ausfallen. Man signalisiert Kunze, das Land zu verlassen. Im Eilverfahren wird die sogenannte Übersiedlung in die Bundesrepublik abgewickelt. Es soll schnell gehen. Am Aufsehen, das der Fall erregt, ändert das nichts.

Reiner Kunze ein tag auf dieser erde Gedichte

ein tag auf dieser erde

Kunze erlebt den Neuanfang im Westen als Befreiung, als Erfahrung der bedeutend größeren politischen Freiheit und Meinungsfreiheit. Unkritisch dem Westen gegenüber ist er deshalb keineswegs. Die Bedeutung des Materiellen, die Macht des Geldes, die Selbstentäußerung vieler Menschen an blinde Betriebsamkeit sieht er mit wachem Blick. Und dass es auch im Westen Parteigeist, ideologische Verfeindungen, Vorurteile und Missgunst gibt, wird ihm schnell bewusst. Dennoch: es überwiegt das Gefühl der Befreiung.

Den Mechanismen des Literaturgeschäfts zufolge hätte er nach dem Prosabestseller »Die wunderbaren Jahre« rasch einen neuen Erzählband veröffentlichen müssen, doch den Marktforderungen gegenüber bleibt er konsequent taub. In zeitlich weiten Abständen veröffentlicht er Gedichtbände, die zeigen, dass in der Freiheit auch Kunzes Gedichte poetische Freiheit gewinnen. Seine Lyrik reift, Blick und Bandbreite der Ausdrucksmittel weiten sich, die Genauigkeit der Beobachtung, die Kraft und Anmut der Sprache und der Reichtum der Bilder nehmen noch zu.

In der DDR wurden dem jungen Kunze Vorhaltungen gemacht, er schreibe Liebesgedichte und vernachlässige den Klassenstandpunkt – so als dürfe Liebe ohne Politik nicht existieren. Wie um diesen Vorwurf noch mehr zu beschämen, als er sich selbst beschämt, hat er einige der schönsten Liebesgedichte der deutschen Gegenwartsliteratur geschrieben. Beispielsweise »schnelle nachtfahrt«: »Niemals wird es uns gelingen, die welt / zu enthassen // Nur daß am ende uns nicht reue heimsucht / über nicht geliebte liebe.«

Reiner Kunze Was macht die Biene auf dem Meer Gedichte für Kinder

Was macht die Biene auf dem Meer? Gedichte für Kinder

Kunzes Hauptthema in der DDR war die Verteidigung der Freiheit des Individuums und der Kunst. Sie gilt es auch hierzulande zu verteidigen: gegen Kommerz und Konsum, gegen die Überwältigung der schnelldrehenden Reizüberflutung, gegen die inneren und äußeren Verluste in einer profitorientierten Gesellschaft. Der Zweifel, ob wir die zunehmenden Beschädigungen unserer natürlichen Lebensgrundlagen noch lange werden verkraften können, zieht sich wie ein roter Faden durch Kunzes letzte Gedichtbände. »Je globaler die Welt in ihren Zusammenhängen wird, im Wirtschaftlichen«, sagt Reiner Kunze, »desto absoluter wird der Gewinn gelten. Und dem wird alles untergeordnet. Und da gibt es ein zynisches Bonmot, das heißt: “Die nächste Katastrophe kommt bestimmt.” Und die Menschheit hat das Katastrophenschwert längst über sich aufgehängt.«

Den großen Gedichtbänden »auf eigene hoffnung« (1981), »eines jeden einziges leben« (1986), »ein tag auf dieser erde« (1998) und »lindennacht« (2007) hat Reiner Kunze nun einen neuen großen hinzugefügt: »die stunde mit dir selbst«.

Reiner Kunze die stunde mit dir selbst Gedichte

die stunde mit dir selbst

Die meisten dieser neuen Gedichte sind in den letzten drei Jahren entstanden oder haben ihre gültige Fassung gefunden, sie sind abgeklärt, altersweise und von großer Schönheit. Kunzes Sprache ist, wie wir sie seit je gewohnt sind: konzentriert, präzise, kein Wort zuviel, keines zu wenig, jeder Gedanke, jeder Sachverhalt, jedes poetische Bild in knappster Form ausdrucksstark auf den Punkt gebracht. »die stunde mit dir selbst« vereint Reise- und Naturimpressionen, widmet sich dem Wesen des Gedichts und der Widerstandskraft der Kunst, erzählt von den Verlusten und Bedrohungen, denen wir als Menschheit und Individuen uns selbst aussetzen, zeichnet eine von zunehmendem Selbstverlust geprägte Zeit, zieht erste Lebensbilanzen und berichtet von der Erfahrung des Alters.

Die Gedichte sind jugendlich in der nie nachlassenden Neugier auf das Schöne und alles, was dem Leben Wert und Substanz verleiht. Sie sind klar im Blick auf die kurzgetaktete, immer häufiger auf leere Betriebsamkeit und hochgepumpte Vereinfachung setzende Welt. Und sie sind, nicht zuletzt deshalb, skeptisch, was die Aussichten auf die Zukunft angeht.

»die stunde mit dir selbst« ist ein Buch, das unsere Zeit braucht. Aber weiß sie es? Und kann sie ein solches Buch noch lesen?

»sie halten sich am handy fest«, heißt es in diesem Band, »Was ist und war / ist abrufbar / mit der fingerkuppe // Doch sie wissen schon nicht mehr, / was sie nicht mehr wissen«.

Das Gedicht heißt: »leichte beute«.

Wer nach der Lektüre dieses Bandes eine kleine Zugabe sucht, findet sie in der Broschüre »Doch schade um das Volk« aus der Edition Toni Pongratz, die zu Reiner Kunzes 85. Geburtstag erschienen ist.

Michael Klein

Michael Klein: »Das weiße Schweigen«

Jack London und der Goldrausch am Klondike – ein Dokumentarroman

Michael Klein: Das weiße Schweigen - Cover

»Gold! Gold in rauen Mengen!« Als am 14. Juli 1897 die S.S. Excelsior im Hafen von San Francisco anlegt, verbreitet sich die Nachricht von den sagenhaften Goldfunden in den eisigen Weiten Alaskas wie ein Lauffeuer über ganz Amerika. Tausende Männer verlassen von einem Tag auf den anderen ihre Familien, ihre Arbeit, ihre Heimat, angesteckt vom »Klondike-Fieber«, der nach dem Fluss im Norden benannten Krankheit, die sie antreibt.

Einer von ihnen ist Jack London. Er wird zum Chronisten dieses Goldrauschs am Yukon, den letzten großen Pioniertraumes. Und dieser wird ihm zum unauslöschlichen, Leben, Weltanschauung und Schreiben prägenden Erlebnis.

In seinem dokumentarischen Roman erzählt Michael Klein von der Euphorie des Aufbruchs und der Suche nach dem Glück, vom großen amerikanischen Mythos und seinem raschen, vollständigen Scheitern.

Auf den Spuren Jack Londons überquert der Leser noch einmal den Chilkoot-Pass, treibt sich in den Saloons der schlammigen Bretterstadt Dawson herum, sieht mit entsetzten Augen hinab in die Schluchten des Dead Horse Trail und erreicht Orte geradezu unnatürlicher Stille inmitten von Eis und Schnee, die Orte des »weißen Schweigens«. Aus erzählenden und autobiographischen Texten, aus Dokumenten, Daten und zeitgenössischen Schilderungen entwirft Michael Klein ein ungemein dichtes und authentisches Bild einer extremen Welt- und Naturerfahrung, die in den Büchern Jack Londons einzigartig gestaltet worden sind.

 

Michael Klein

»Das weiße Schweigen«

Jack London und der Goldrausch am Klondike

Ein Dokumentarroman

262 S., gebunden, vergriffen

Mit historischen Fotos

(Zsolnay Verlag, 2001)

 

Pressestimmen:

»Ihnen ist etwas Beeindruckendes gelungen. Zum einen staune ich, daß das Buch in seinem Duktus eine Einheit ist – man merkt nirgends einen Bruch zwischen Originaltext (Klein) und Zitat (London). Das ist eine enorme sprachlich-erzählerische Leistung. Zum anderen füttert das Buch den Leser nicht nur mit Spannung und interessanten Details, sondern es faßt auch das Leben (alles Leben, alles menschliche Leben) in großem Bogen zusammen. Meinen Respekt! Ich gratuliere Ihnen.«

Reiner Kunze, Schriftsteller

»Michael Klein lässt von vornherein keinen Zweifel daran, dass der amerikanische Traum vom schnellen Goldfund am Klondike eine Pleite der besonders umfangreichen Art war. Er hat trotzdem eine spannende Geschichte daraus gemacht, halb Roman und halb Dokumentation und ganz gelungen.«

Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau

»Es ist ein böses kleines Vergnügen, vom warmen Sessel aus, die schlimmste Kälte und die schrecklichsten Strapazen zu ertragen. Großartiges Buch.«

Karen Duve, Schriftstellerin

»Ein spannender dokumentarischer Roman über Jack Londons Aufbruch nach Alaska und seine vergebliche Suche nach Gold.«

ZDF

»Michael Klein entwirft in seinem Roman ein sehr kompaktes und realistisches Bild der damaligen Verhältnisse. Der Leser erlebt die Entwicklung Jack Londons vom armen Gelegenheitsarbeiter über den gescheiterten Goldsucher bis hin zum gefeierten, innerlich aber tief entmutigten Schriftsteller hautnah mit. Nicht nur in Wintermonaten ein empfehlenswerter Roman.«

Stefan Füllemann, literaturkritik.de